Dienstag, 28. August 2012

Wendezeit

Frau Höhler hat in Ihrem sehr bemerkenswerten Buch „Die Patin“ eine Entwicklung aufgezeigt, der immer mehr Demokratie geopfert wird. Sie macht diese Entwicklung an der mächtigsten Frau der Welt, Angela Merkel, fest. Mir erscheint dies zu kurz gegriffen. Die Bundeskanzlerin setzt eine Politik fort, die m.E. ihren Anfang bereits unter Helmut Kohl nahm, sich dann aber unter Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 signifikant verfestigte.

Es ist eine Politik des starken Staates, der seine wachsende Macht durch steten Abbau von Demokratie verfestigt. Gleichzeitig demonstriert er den Bürgern aktiv seine Machtposition. Nehmen wir z.B. das Rauchverbot in Kneipen. Es gibt sicher viele positive Aspekte die man diesem Verbot abgewinnen kann. Aber war ein solches Verbot überhaupt notwendig? Die Zahl der Raucher war bereits vor dem Verbot ständig rückläufig. In den Jahren, als Rauchen noch wirklich ein Problem war, ich erinnere mich an die ARD Sendung „Der internationale Frühschoppen“ bei der man oft die Diskutanten in Rauchschwaden kaum erkennen konnte, kam niemand auf solch eine Idee. Aber auch damals gab es rauchfreie Lokale, und jeder, egal ob Wirt oder Kunde, konnte selbst entscheiden welche Art von Lokal für ihn interessanter wäre.

Nun kommt sicher von den Befürwortern des Rauchverbots das Argument, dass die Mitarbeiter in den Lokalen einer höheren gesundheitlichen Belastung ausgesetzt sind und ein generelles Rauchverbot diese schützt. Sicher, ein ernst zu nehmendes Argument. Aber wenn gesunde Arbeitsplätze so im Zentrum der Bemühungen des Staates stehen, warum interessiert sich dann niemand z.B. für die Röntgenbelastung der Stewardessen in Flugzeugen ausgesetzt sind?

Diese kann man zwar nicht einfach verbieten, aber man könnte durch höhere Personalschlüssel und kürzere Einsatzzeiten die Belastung wesentlich reduzieren.

Dieser auf sparsamen Umgang mit Ressourcen gerichtete und an der Gesundheit seiner Bürger scheinbar sehr interessierte Staat verbietet niemanden einen Geländewagen zu fahren, der 35 Liter Super verbraucht, solange er dafür bezahlt. Auch auf der deutschen Autobahn darf er ohne Geschwindigkeitsbegrenzung fahren und damit seinen Spritverbrauch und das Unfallrisiko nach Belieben weiter erhöhen. Gleichzeitig werden ab dem 1.September2012 die herkömmlichen Glühbirnen verboten und durch Quecksilberhaltige Leuchtmittel ersetzt.

Wenn die Situation der knappen Ressourcen so dramatisch ist, dass man jedes Watt Strom per Gesetz einsparen muss, dann ist unverständlich, wieso dies nicht auch bei anderen Ressourcen so gehandhabt wird.

Inzwischen fordern Politiker fast aller Parteien einen Mindestlohn. Auch ein Mindestlohn ist ein Eingriff des Staates in einen Bereich, aus dem er sich eigentlich heraus halten sollte. Nur ist dieser Eingriff in die Tarifautonomie inzwischen unvermeidbar. Die Ursache dafür liegt ebenfalls beim Staat. Bereits mit der Agenda 2010 hat er einseitig in die Tarifautonomie eingegriffen, in dem er Arbeitssuchende per Gesetz zwang, zu jedem Lohn zu arbeiten. Dies, wenigstens ansatzweise durch einen erneuten Eingriff in die Tarifautonomie zu korrigieren, ist nur die zweitbeste Lösung. Besser wäre es die Vertragsfreiheit beidseitig wieder herzustellen, statt sie nun auch bei den Arbeitgebern zu beschneiden.

Auch die viel diskutierte Frauenquote halte ich für nicht wirklich sinnvoll. Ein Unternehmer sollte in seiner Firma selbst entscheiden dürfen welche Position er mit welcher Person besetzt. Ich glaube auch nicht, dass bei den meisten Personalentscheidungen das Geschlecht wirklich eine Rolle spielt. Schon seltsam, dass viele Leute, die sonst Gleichheit und Gerechtigkeit sehr viel differenzierter und vor allem als Chancengleichheit betrachten, hier nun plötzlich mit dem Taschenrechner nachrechnen wie viele Frauen und Männer sich in den Chefetagen von Unternehmen befinden. Man scheint völlig zu vergessen, dass es immer noch mehr Frauen als Männer gibt, die sich dafür entscheiden ihre Karriere außerhalb des Berufslebens, nämlich als Hausfrau und Mutter zu gestalten.

Offensichtlich fällt man von der gestrigen Geisteshaltung, nach der eine berufstätige Mutter eine Rabenmutter sei, nun in das andere Extrem, welches Frauen, die sich für einen Hausfrau und Mutter Vollzeitjob entschieden haben, als altbacken und nicht emanzipiert versteht.

Emanzipation bedeutet aber selbst über den eigenen Weg entscheiden zu dürfen. Wir sollten uns wieder einmal überlegen, was unserem Leben mehr Sinn und Halt gibt, der Beruf oder die Familie? Natürlich ist es ideal beides zu verbinden. Aber dabei muss die Frage erlaubt sein, ob es der richtige Weg ist etwa mit Kinderhorten für 1 bis 3 jährige die Familie dem Beruf unterzuordnen, oder ob nicht hier die Wirtschaft mehr Rücksicht auf die, letztlich ja auch für sie selbst, über lebensnotwendige Kindererziehung nehmen sollte.

Letztlich ist dies auch eine Grundsatzfrage die z.B. in der DDR klar zu Gunsten der Arbeitswelt beantwortet wurde. In der BRD waren bisher die Prioritäten anders gesetzt, offensichtlich ist man aber hier zu einem Umdenken gekommen. Allerdings ist die Begründung, dieses Umdenken geschehe im Interesse der Frauen heute ebenso vorgeschoben wie es damals von der DDR vorgeschoben wurde. Das wahre Interesse der DDR war nicht etwa das Vorantreiben der Emanzipation im sozialistischen Staat, vielmehr war der Staat interessiert seine Bürger möglichst viele Stunden unter Kontrolle zu haben.

Heute sind es die künftig fehlenden Arbeitskräfte, vor allem im Bereich Pflege und Erziehung, die den Staat dazu bringen alles daran zu setzen das Potential von Arbeitskraft möglichst stark zu erweitern.

Dieser Staat verändert sich. Gerhard Schröder war es, der im Zusammenhang mit den Hartz Reformen feststellte, es gäbe kein Recht auf Faulheit. Welche Denkweise steht hinter solch einer Aussage? Jeder der nicht arbeitet ist faul? Wer arbeitslos ist muss jeden Job, unabhängig von der Bezahlung, ja was Praktika oder Arbeitsgelegenheiten betrifft, selbst ohne Bezahlung annehmen.

Damit gibt es also auf der anderen Seite ein Recht auf Ausbeutung? Nach Meinung einiger Politiker eindeutig ja. Interessanterweise findet man dieses Denken vor allem in der FDP, die sich damit klar von einer liberalen Partei zu einer Wirtschaftsliberalen und damit Lobbyisten Partei wandelt. Wirtschaftsliberal ist so ziemlich das Gegenteil von liberal, da unsere Wirtschaft in den letzten Jahren nur durch Druck auf Arbeitnehmer und Arbeitssuchende, durch Abbau von Mitbestimmungsrechten und Kürzungen von Sozialleistungen gewachsen ist. Der Wirtschaft wurden viele Freiräume und finanzielle Entlastungen geschaffen, die mit dem Abbau von Mitarbeiterrechten bezahlt wurden.

Ständig wiederholen sich Politiker mit der Feststellung, dass heute Erwerbsbiographien völlig anders aussehen als vor 40 Jahren. Den Arbeitsplatz im Unternehmen, der für ein ganzes Arbeitsleben dem Arbeitnehmer wirtschaftliche Sicherheit garantierte, gibt es heute nicht mehr. Statt dessen Leiharbeit, prekäre Beschäftigung, befristete Verträge.

Kein Politiker kommt auf die Idee nach den Ursachen für diesen Wandel zu forschen oder ihm gar entgegen zu wirken. Im Gegenteil, diese Entwicklung war politisch gewollt und beabsichtigt. Sozialpolitik im eigentlichen Sinne gibt es in diesem Land nicht mehr.

Soziale Politik sollte sich immer am Wohle und den Interessen der Bürger interessieren. Wenn aber, wie etwa bei der Agenda 2010, Wirtschaftsinteressen zu Lasten der Mehrheit der Bürger staatlich gefördert werden, ist dies keine Sozialpolitik. Von der Agenda 2010 profitieren nur Unternehmen, für die Beschäftigten ist sie eine ständige Bedrohung und ein erhöhtes Armutsrisiko.

Auch die oft angeführten explodierenden Sozialkosten sind zu einem großen Teil nichts anderes als Lohnsubventionen für die Wirtschaft, in Form von ergänzenden Sozialleistungen.

Ein Unternehmen, welches nicht in der Lage ist existenzsichernde Löhne zu zahlen, hat in einem marktwirtschaftlichen System nichts zu suchen. Das Argument, die Agenda habe Arbeitsplätze geschaffen und buchstäblich ein Jobwunder bewirkt, ist die Fortsetzung eines Taschenspielertricks.

Was ist passiert?

Man hat die Gesetzeslage so verändert, dass es der Wirtschaft möglich war, reguläre Arbeitsverhältnisse durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu ersetzen. Zum einen wurden schon vorher schlecht bezahlte Arbeitsplätze auf Zeitarbeitsfirmen verlagert, was dazu führte, da diese ja ebenfalls Gewinne machen müssen, dass diese Arbeitsplätze noch schlechter bezahlt wurden. Viele Vollzeitarbeitsplätze hat man durch Teilzeitarbeitsplätze ersetzt. Und hier kommt der Statistiktrick, den viele nicht durchschauen oder nicht durchschauen wollen.

Wenn ich 3 Vollzeitarbeitsplätze durch 4 Teilzeitarbeitsplätze ersetze, habe ich statistisch zwar einen Arbeitsplatz geschaffen, real ist ein Arbeitsplatz abgebaut worden. So und nicht anders funktioniert das deutsche Jobwunder. Den Preis dafür zahlen nicht nur die Menschen, welche unfreiwillig nur noch Teilzeitbeschäftigt und damit zumeist auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind, es zahlen alle, da die ergänzenden Sozialleistungen von der Allgemeinheit aufgebracht werden.

Gleichzeitig hat man mit der Forderung, dass jeder Leistungsempfänger nach dem SGB II jede Arbeit, unabhängig von deren Bezahlung und ohne Rücksicht auf die Qualifikation des Arbeitssuchenden, annehmen muss, die Lohnspirale nach unten gedreht. Die aktuelle Folge dieser „Sozial“ - Politik ist der Umstand, dass immer mehr Menschen, die ihren Job verlieren, direkt in diese Abwärtsspirale geraten, da sie durch ihren bisherigen niedrigen Verdienst kein existenzsicherndes Arbeitslosengeld 1 erhalten.

Aber diese Entwicklung einer Politik weg von Bürgerinteressen hin zu Wirtschaftsinteressen ist europaweit zu beobachten. Auch mit dem Versuch den Euro um jeden Preis wertstabil zu halten, bedient man Wirtschaftsinteressen zu Lasten der Bürger. Man tut das sogar völlig offen in dem man in Ländern wie Griechenland die demokratisch gewählte Regierung in allen Bereichen der Fiskal und Wirtschaftspolitik weitgehend entmachtet. Ein Austritt der Länder aus dieser immer mehr die eigene Autonomie aufhebenden Währungsunion soll aber dennoch mit allen Mitteln verhindert werden. Auch wenn, wie im Falle Griechenlands, der Staat längst pleite ist und im Grunde ein Insolvenzverfahren und damit ein radikaler Schuldenschnitt unvermeidbar sind. Mit den Rettungsschirmen und den Hilfszahlungen an überschuldete Staaten gelingt es, demokratische Strukturen in den betroffenen Ländern abzubauen, man setzt die Macht des Geldes gegen die Demokratie. Politiker in den betroffenen Ländern, welchen die Unabhängigkeit der Staaten wichtiger erscheint als eine gemeinsame Währung, werden durch „europatreue“ Strategen ersetzt. Eine Schuldenbremse in den jeweiligen Verfassungen, soll ebenfalls als eine von Kapitalinteressen gesteuerte Schranke jeder demokratisch gewollten Entwicklung, die nicht Wirtschaftsinteressen verfolgt, entgegen stehen.

Sozialpolitik wird heute nicht mehr als eigenständige Aufgabe in der Verantwortung für ein Land und seine Bürger gesehen, sie ist vielmehr zum Instrument der Wirtschaftspolitik geworden. Die Parameter in der Sozialpolitik werden nicht mehr nach den Bedürfnissen der Bürger sondern nach den Interessen der Wirtschaft eingestellt. Die aufgekommene These – wer Sozialleistungen in Anspruch nimmt muss bereit sein, dafür auch eine Gegenleistung zu erbringen – ist sehr verräterisch.

Sozialleistungen werden damit völlig neu definiert. Nicht mehr der vom Grundgesetz garantierte Anspruch auf ein würdevolles Leben ist, wie zuvor, Grundlage von Sozialleistungen sondern sie werden zu einer Handelsware. Wenn ich für eine Leistung eine Gegenleistung einfordere, ist dies ein Handel und keine Sozialleistung. In der Vorstellung einiger Politiker bedeutet dies: Der Arbeitssuchende, dem dieser Staat keine bezahlte Arbeit vermitteln kann, obwohl er jede bezahlte Arbeit annehmen müsste, muss um sein Recht auf ein würdevolles Leben in Anspruch nehmen zu können, in der sog. Bürgerarbeit ohne jede Bezahlung arbeiten. Das bedeutet aber letztlich, dass die Arbeit durchaus vorhanden ist, lediglich das Unvermögen oder der mangelnde Wille der Verantwortlichen in der Politik, die es nicht zulassen die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass diese Arbeit bezahlt wird, hindern den Arbeitssuchenden daran einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Würde er nun diese Bürgerarbeit tatsächlich ausführen, würde er nichts anderes tun als seine Arbeitslosigkeit zu verfestigen.

Das Grundrecht auf ein würdevolles Leben an die Akzeptanz von Zwangsarbeit zu ketten, das ist genau das, was Politiker fordern, wenn sie der Sozialleistung zwingend eine Gegenleistung gegenüberstellen.